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Zur Person
Gespräch, Kunst + Kultur • 11.09.2024 • 00:10 - 01:00
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Originaltitel
Zur Person
Produktionsland
D
Produktionsdatum
2019
Gespräch, Kunst + Kultur
Gast ist Pfarrer Friedrich Schorlemmer. Er gibt Auskunft was ihn bewogen hat, die Wende in der DDR mit herbeizuführen, welche Einsichten er seitdem gewann und welche Hoffnungen er verloren hat. "Wir sind gegenwärtig - ich weiß nicht ob manipuliert oder nicht - in einem Vereinigungsrausch und gleichzeitig in großer Unsicherheit, in großen Ängsten. Verlassenheitsgefühle von Freunden und Kollegen, aber auch von alten Eltern, deren Kinder weggingen. Ich denke, das ist ein ganz tiefes Symbol, wenn einem Volk die Jugend wegläuft und man dann im Fernsehen sieht, wie die, wenn sie drüben sind, vor Freude jauchzen. Aber ich habe in keinem Fernsehbild gesehen, wie hier die Tränen geweint wurden." "Wir haben in den vielen Jahren, in denen wir miteinander in verschiedenen Gruppen nachgedacht haben, nicht nachgedacht wie wir dieses System abschaffen, sondern wie dieses System wirklich ein menschliches Gesicht bekommt. Und dann hat sich herausgestellt, dass alles schon zu spät war für den Dialog mit den Mächtigen. Wenn die Partei auf uns gehört hätte, ein bisschen früher, wären wir nicht in der jetzigen Lage. Wir waren nie Gegner, sondern mehr Reformer. Und jetzt bekommen sie die ganze aufgestaute Verzweiflung und Wut zu spüren und, denke ich, die Quittung für die Tabuisierung der Probleme, die jeder sah und fast jeder auch mitmachte. Mitläufer und Opfer, jeder in seiner Weise. Dass viele jetzt die Lösung in einem schnellen Anschluss an die Bundesrepublik sehen, hat drei Gründe. Der erste Grund ist in der Tat dieses wirtschaftliche Gefälle. Das zweite ist, dass wir immer Gedemütigte gewesen sind, nämlich Bittsteller. Ob bei der Polizei bei einem Reiseantrag oder beim Zahnarzt oder im Restaurant, wir waren immer Bittsteller. Und dann waren wir immer die schlechteren Deutschen, durften von hier aus gar nicht Deutsche sein, sondern sollten Volk der DDR werden. Identitätsverlust, Würdeverlust und diese wirtschaftliche Differenz haben dazu geführt, dass wir die Lösung unserer Probleme darin sehen, jetzt ganz Deutsche zu sein." Für seinen Übertritt vom Demokratischen Aufbruch zur SPD hat Pfarrer Schorlemmer zwei Gründe: "Erstens, wenn sie beide Programme nebeneinanderlegen, müssen sie sich fragen, warum zwei Gruppen so ein gleiches Programm haben. Dann müssen sie auch ihre Ressourcen, ihre geistigen und menschlichen zusammenlegen. Und das zweite war, dass im Demokratischen Aufbruch ein nicht geringer Teil der Teilnehmer am Parteitag doch anderes wollte. Und das hatte mit dem, was wir im Programm geschrieben haben, nicht mehr sehr viel zu tun. Aber im Wesentlichen war mein Grund, keine Zersplitterung der Opposition zuzulassen. Wer zusammengehen kann, sollte zusammengehen. Ich denke, wir müssen da noch sehr viel auf Eigenprofil verzichten und ein erkennbares Profil für alle Menschen in diesem Land erreichen, damit wir schließlich auch noch als Subjekt in das gemeinsame Deutschland eingehen."